Abschluss des SEV-Kongresses in Bern
SEV bezieht Stellung in Verkehrs- und Sozialpolitik
Politische Fragen standen im Mittelpunkt des zweiten Tages des SEV-Kongresses in Bern. Rund um den Auftritt von Verkehrsministerin Doris Leuthard bezog die Basis des Verkehrspersonals klar Stellung für den Service public, die Sicherheit im Verkehr, für den Sozialstaat und gegen zerstörerischen Wettbewerb.
Die Bahn ist das sicherste Verkehrsmittel überhaupt. Damit es so bleibt, machen sich insbesondere die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter grosse Sorgen, wie sich heute am zweiten Tag des SEV-Kongresses zeigte. Zahlreiche Beispiele der Güterverkehrskontrollen im Tessin zeigen, dass Güterzüge nach dem Vertrauensprinzip durch halb Europa fahren, obwohl sie teilweise falsch deklariert sind, die Wagenfolge verändert wurde oder Befestigungen sich lösen. Ins gleiche Kapitel gehören Arbeitszeitverstösse von Lok- und Baupersonal. Für die SEV-Mitglieder ist klar: Das Bundesamt für Verkehr muss sowohl bei der Betriebssicherheit als auch bei den Arbeitsvorschriften intensiver kontrollieren. Es sind Auswüchse des – vom Bund wie von der EU forcierten – Wettbewerbs, die zulasten des Personals, der Reisenden und des Gesamtsystems Bahn gehen.
Bundesrätin Doris Leuthard begann ihr Referat mit einem generellen Dank ans Verkehrspersonal und der Feststellung, dass die Schweiz das Land des hervorragenden öffentlichen Verkehrs ist und bleibt. Sie betonte: «Die Zunahme der Gewalt ist bedenklich; im Zug darf die Angst nicht mitfahren, weder wegen technischen Problemen noch wegen Aggressionen und Pöbeleien!» Sie führte weiter aus, dass der Ausbau der Sicherheit hohe Priorität habe, durch zahlreiche Massnahmen auf verschiedenen Ebenen, beispielsweise bei Baustellen auf dem Schienennetz. Am wichtigsten sei jedoch der sichere Erhalt des Schienennetzes. Mit FABI werde auch der Substanzerhalt finanziert, noch vor dem weiteren Ausbau. Sie sprach auch die Frage von schlecht ausgelasteten Regionallinien an; sie mache sich Sorgen um Strecken, die teils nur zwischen 8 und 30 Prozent genutzt seien.
Sie rief das Personal auf, Vorschläge für intelligente Verbesserungen des Verkehrssystems einzubringen: «Sie sind viel näher dran als wir!» Zum Güterverkehr erinnerte sie an die soeben vorgestellte Revision des entsprechenden Gesetzes und erläuterte, der Bund wolle Schiene und Strasse besser aufeinander abstimmen, um die Vorteile beider Verkehrsträger optimal zu nutzen. Mehr Wettbewerb im Bahnverkehr bezeichnete sie als wünschenswert; allerdings sei die Kehrseite erkennbar, hielt sie fest mit Hinweis auf den Verlust des Gotthardverkehrs der BLS. Zum Personenverkehr meinte sie: «Wir wollen keine Beschränkung auf die rentablen Strecken, das ist nicht Service public.» Der Grundsatz des flächendeckenden öffentlichen Verkehrs sei das erfolgreiche Schweizer Modell. «Der Schweizer öV soll dicht, schnell und sicher bleiben», schloss sie.
SEV-Präsident Giorgio Tuti wies in der Verdankung die Bundesrätin auf die zahlreichen Anliegen und Sorgen des Verkehrspersonals hin. Besonders ging er auf das vierte Eisenbahnpaket der EU ein und wandte sich sowohl gegen die darin enthaltene Trennung von Infrastruktur und Betrieb sowie die volle Wettbewerbsöffnung des Personenverkehrs. «Den Preis für den blutigen Wettbewerb bezahlt immer das Personal, mit Stellenabbau und schlechteren Anstellungsbedingungen», hielt er fest. Weiter ging er auf die Situation der Pensionskasse ein und gab der Verkehrsministerin die deutliche Botschaft mit, dass eine «Wackelrente» nicht in Frage komme, nachdem in den letzten Jahren schon zahlreiche Verschlechterungen akzeptiert werden mussten. «Es kann nicht sein, dass eine Unternehmung des Bundes einen solchen Systemwechsel macht, der die Pensionskassenwelt verändern würde. Das kann auch nicht im Interesse des Bundes als Eigentümers sein.» Variable Renten, wie sie die Pensionskasse SBB in die Diskussion geworfen hat, sind für die Delegierten des SEV unhaltbar.
Mehrere Redner der gewerkschaftlichen Basis sprachen ebenfalls zur Verkehrsministerin. Das Personal der konzessionierten Transportunternehmen trat geschlossen in T-Shirts mit der Aufschrift «Service public – ja!» auf, um sich gegen die Sparmassnahmen im Regionalverkehr zu wehren. «Es gibt keinen Spielraum mehr für weitere Kürzungen», hielt ihr Sprecher Peter Bernet fest.
Eine Vertretung aus dem Tessin sprach sich gegen die zweite Gotthardröhre aus, die auch dem Willen des Tessiner Volks widerspreche. Dieses habe bisher immer für die Verlagerung auf die Schiene gestimmt.
Angesprochen wurde dazu die Sicherheit des Güterverkehrs, wo zusätzliche Kontrollen durch die Spezialisten der Bahnunternehmen und des BAV verlangt werden. Kontrolliert werden solle auch die Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften, da es dabei nicht nur um die Sicherheit des Verkehrs, sondern auch um die Gesundheit des Personals gehe.
Einen letzten Schwerpunkt des Kongresses bildeten sozialpolitische Fragen. Die erneute Zunahme von Aggressionen gegen das Personal bleibt ein Schwerpunkt, in dem sich der SEV für seine Mitglieder engagieren muss und will.