Der Arbeitgeber trägt Pflichten gegenüber den Angestellten. Diese beschränken sich nicht darauf, pünktlich den Lohn zu zahlen. Ein Fallbeispiel.
Buschauffeur unter Dauerstress
Zur «Fürsorgepflicht» des Arbeitgebers gehört, dass die Angestellten moralisch unterstützt werden müssen.
Das SEV-Rechtsschutzteam und auch Gewerkschaftssekretäre und -sekretärinnen, welche VPT-Sektionen betreuen, deren Mitglieder als Busfahrer/innen arbeiten, werden zunehmend mit Fällen konfrontiert, in welchen die teils erschreckende Aggressivität von Fahrgästen und die teils mangelhafte Unterstützung von Seiten des Arbeitgebers zu schwerwiegenden Problemen führen. Der nachstehend geschilderte Fall ist in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung.
Ein unschöner Anfang
Robert, Buschauffeur bei einem kleineren, regionalen Busunternehmen, hat die Kündigung erhalten. Gegenüber der Arbeitslosenkasse berichtete der Arbeitgeber, dass Robert öfters Mühe im Umgang mit Fahrgästen gehabt habe, mehrfach mündlich ermahnt worden sei und im Sommer vor zwei Jahren eine schriftliche Verwarnung erhalten habe. Trotz dieser Führungsmassnahmen habe sich sein Verhalten nicht verbessert.
Aggressionen als Ursache
Die Arbeitslosenkasse gab Robert die Möglichkeit, zur Sachverhaltsdarstellung des Arbeitgebers Stellung zu nehmen. Robert schilderte in seiner Antwort auf nachvollziehbare Art, wie sich ein Teil der Fahrgäste gegenüber dem Personal verhält und wie diese Belastungssituationen bei ihm schliesslich auch zu psychischen Problemen führten. Von Seiten des Arbeitgebers habe er wenig bis gar keine Unterstützung erhalten. Im Rahmen eines weiteren Briefwechsels bestätigte ein Facharzt gegenüber der Arbeitslosenkasse, dass Robert während einer gewissen Zeit psychologisch betreut wurde und dass eine 100-prozentige Arbeitsfähigkeit gegeben sei.
Einstelltage wegen Selbstverschuldens
In der Folge stellte die Arbeitslosenkasse in Form einer Verfügung fest, dass Robert die Arbeitslosigkeit selbst verschuldet habe, und strafte ihn mit 31 Einstelltagen. Als Begründung übernahm die Kasse die Darstellung des Arbeitgebers. Die Ausführungen von Robert interpretierte sie offenbar als Geständnis, dass er mit den Fahrgästen Probleme hatte, und vom differenziert abgefassten Arztbericht verwendete sie einzig den Hinweis auf die 100- prozentige Arbeitsfähigkeit.
SEV-Rechtschutz legt Einsprache ein
Gegen diesen Entscheid reichte der SEV Einsprache ein. Im Rahmen der Einsprache verlangte der SEV, dass festzulegen sei, dass kein Selbstverschulden vorliege, womit auch keine Einstelltage gerechtfertigt seien. In der Begründung machte der SEV geltend, dass der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht verletzt und die Schuld auch bei umstrittenen bzw. nicht nachgewiesenen Konfliktsituationen einseitig dem Mitarbeiter zugeschoben habe. Die drastische Darstellung des Fehlverhaltens von Robert stehe im Widerspruch zum tadellosen Arbeitszeugnis. Weiter habe die Kasse die Stellungnahme von Robert sowie den Arztbericht unvollständig und falsch interpretiert. Robert habe sogar im Rahmen seiner Sorgfaltsund Treuepflicht seine Eigenverantwortung wahrgenommen und therapeutische Hilfe in Anspruch genommen. In einem weiteren Briefwechsel konnte sich Robert nochmals zum Sachverhalt äussern. Auch der Facharzt erstellte einen weiteren Bericht. Darin bestätigte er die psychische Belastungssituation und die erfolgreiche Therapie, aber auch die Arbeitsfähigkeit.
Vorerst kein Erfolg
Die Arbeitslosenkasse erliess den Einspracheentscheid und bestätigte die Verfügung, also das Selbstverschulden und die 31 Einstelltage. Als Begründung führte sie dieselben Argumente an wie die Vorinstanz. Zudem erwähnte sie, dass die weiteren Briefwechsel und eingeholten Informationen keine neuen Erkenntnisse gebracht hätten.
Anwalt eingeschaltet
Robert und der SEV erachteten den Einspracheentscheid als unhaltbar. Das SEV-Rechtsschutzteam beauftragte deshalb einen SEV-Vertrauensanwalt, den Entscheid mit Beschwerde ans kantonale Versicherungsgericht weiterzuziehen.
SEV erhält Recht
Rund ein Jahr später hiess das Gericht die Beschwerde gut. Es stellte fest, dass kein Selbstverschulden vorliegt und somit auch keine Einstelltage gerechtfertigt sind. Die Arbeitslosenkasse wurde zudem verpflichtet, die Anwaltskosten zu übernehmen. Das Gericht begründete die Gutheissung der Beschwerde u. a. damit, dass das Fehlverhalten nicht wirklich nachgewiesen wurde und somit keine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt worden seien. Robert habe zudem eigenverantwortlich psychologische Hilfe gesucht und in Anspruch genommen sowie nachgewiesenermassen eine berufliche Neuorientierung angestrebt.
Merke:
Bei Kündigung riskiert der Arbeitnehmer immer Einstelltage, egal, ob selber oder vom Arbeitgeber gekündigt wurde. Es ist deshalb wichtig, sich gut zu dokumentieren und bei Missständen frühzeitig und beweisbar zu reagieren, damit der Arbeitslosenkasse klar aufgezeigt werden kann, warum effektiv gekündigt wurde. Das RAV fragt immer nach dem Verschulden. Der Arbeitnehmer muss beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft. Dies ist eine Auswirkung der letzten Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (ALV).
Rechtsschutzteam SEV
Regelung
Die Verordnung zum Arbeitslosenversicherungsgesetz (AVIV) regelt die Einstelltage bei selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit wie folgt (Art. 45 Abs. 3): Die Einstellung dauert (a) 1–15 Tage bei leichtem Verschulden; (b) 16–30 Tage bei mittelschwerem Verschulden; (c) 31–60 Tage bei schwerem Verschulden.