Auf den Spuren von …
Jennifer Fayet, Lokführerin
Als erste Frau führt sie Züge bei RegionAlps, der von SBB und TMR gegründeten Regionalbahn – heute mit Walliser Beteiligung. Nach diversen Jobs hat Jennifer Fayet 2022 ihren Beruf gefunden, den sie wegen der Abwechslung liebt. Im SEV ist sie Sektionssekretärin. Ein Porträt zwischen zwei Pausen.
Dieser Montagmorgen beginnt früh für Jennifer Fayet. Ihr Wecker geht um 2.15 Uhr. Das ist hart. Nach dem Frühstück führt sie ihren Hund spazieren. Ihre Tour beginnt um 4.16 Uhr mit der Vorbereitung der Züge. Erste Zugsabfahrt ist um 5 Uhr, ihre Tour endet um 13.29 Uhr. Ich treffe sie während ihrer Morgenpause in Saint-Maurice. Mir fällt sofort ihre dynamische, überlegte und entschlossene Art auf. Ihr Kollege beschreibt sie beim Dienstwechsel mit einem Wort: «strahlend». 11.30 Uhr: Der Zug schlängelt sich dem Berg entlang. Das Wetter ist grau und regnerisch, Wolken hängen wie Watte tief an den Bergen. Bei der Kreuzung in Bouveret grüsst sie ihren Kollegen. Dann biegt ihr Zug auf die einspurige Tonkin-Linie ein und fährt dem Südufer des Genfersees entlang bis zur Endstation in Saint-Gingolph. Während ihrer Pause führen wir unser Gespräch fort.
1984 geboren wächst Jennifer im ruhigen Umfeld der Weinberge des Lavaux und der Waadtländer Riviera auf. Ihr Vater ist Gastwirt in Cully, ihre Mutter Sekretärin einer Schiffswerft, und sie hat eine ältere Schwester. Als Jugendliche arbeitet sie in den Ferien und nach der Schule bei ihrem Vater, absolviert eine Lehre als Hotelkauffrau in Montreux und geht 24-jährig nach Berlin. Dort studiert sie und arbeitet im Hotel- und Gastronomiegewerbe sowie im Verkauf. Nach acht Jahren hat sie es satt, sich mit Mini-Teilzeitjobs durchs Leben zu schlagen. Auch ein wenig Heimweh hat sie.
Erste Lokführerin bei RegionAlps
Zurück in der Schweiz langweilt sie sich schnell bei ihrer routinemässigen Arbeit. «Den ganzen Tag vor dem Computer zu sitzen war nichts für mich», erklärt sie. «Ich kannte einen Freund, der seit einiger Zeit bei RegionAlps arbeitete und mir von seinem Beruf erzählte.» Bei einem Unternehmen des öffentlichen Verkehrs zu arbeiten war nicht Jennifers Traumberuf. Zwar hatte sie schon in Berlin erwogen, Tramführerin zu werden, doch der viel zu tiefe Lernendenlohn hatte sie davon abgehalten.
Zurück in der Schweiz legt sie los. Damals gab es bei RegionAlps noch keine Lokführerinnen. «Ich bin also die erste dort», sagt sie bescheiden. «Ich habe gerne in der Gastronomie gearbeitet, aber hier habe ich gefunden, was mir gefällt! Es gibt Solidarität unter den Kollegen, das ‹Büro› verändert sich ständig und es gibt keinen Tag, der dem anderen gleicht. Ich arbeite zwei Wochen am Morgen, zwei Wochen am Abend, bin in der Rotation, habe meine Jahreseinteilung und kann mich organisieren. So habe ich tagsüber freie Zeit, was ich sehr schätze.»
Regional- und … Zahnradbahn
Jennifer Fayet ist dem Depot Saint-Maurice zugeteilt. Sie führt hauptsächlich Regionalzüge zwischen Saint-Gingolph und Brig und einmal pro Monat zwischen Martigny und Le Châble oder Orsières. Zudem fährt sie für die SBB Regional- oder RegioExpress-Züge zwischen Saint-Maurice und Lausanne. Um ihren Aktionsradius zu erweitern, hat sie letztes Jahr auch die Zulassung für Zahnradstrecken erworben und ist vor allem im Winter auf der Strecke Bex–Bretaye der TPC unterwegs, dank einer Vereinbarung mit RegionAlps.
Mit der Gewerkschaft kommt sie als Anwärterin in Kontakt, bei einer Vorstellung des SEV vor Ort. Ihr Kollege Olivier Matter ist zufällig auch Präsident des VPT RegionAlps, und der Beitritt zum SEV so ein logischer Schritt. «Es ist wichtig, dass es den SEV gibt, damit wir unsere Rechte durchsetzen können! Weil ich von Natur aus neugierig bin, wollte ich wissen, wie das im Vorstand läuft. Bei einer Vakanz habe ich mich deshalb beworben. Seit Jahresbeginn bin ich Sekretärin der Sektion. Das ist sehr interessant, auch wenn ich ein wenig im Hintergrund bin.»
Neben der Gewerkschaft ist sie auch politisch aktiv: «Man muss sich engagieren, um besser zu verstehen. Ich bin sensibel für soziale Ungerechtigkeiten und schlecht verteilten Reichtum.» Seit 2016 ist sie POP-Mitglied und sitzt für die Liste ‹Socialiste & Solidaire› im Gemeinderat von Bex. Seit sieben Jahren lebt sie mit Sascha zusammen, der sie vor allem während der neunmonatigen Ausbildung bei RegionAlps sehr unterstützt hat. Warum gibt es nur wenige Lokführerinnen? Jennifer denkt, weil Haushaltarbeiten immer noch hauptsächlich von Frauen erledigt werden und weil es schwierig ist, Teilzeitpensen in die Tourenpläne zu integrieren. Noch schwieriger wird es, wenn Kinder da sind. Das ist bei ihr nicht der Fall. In der Freizeit reist sie gerne, liest (Martin Suter und Terry Pratchett) und hört Musik (Rocksteady oder Ska).
Yves Sancey