Vizepräsidium
«Glaubwürdigkeit ist zentral für mich»
Seit Oktober 2023 ist Patrick Kummer Vizepräsident des SEV. Im Interview blickt er auf bewegte Monate zurück.
2023 gab es SEV-intern viel Veränderung. Wie hast du das erlebt?
Es war für mich ein intensives Jahr. Ich verantwortete als Gewerkschaftssekretär bereits seit Anfang 2023 interimistisch das SBB-Dossier und habe mich dann im Sommer dafür entschieden, für das Vizepräsidium zu kandidieren. Ich wusste da schon gut, was auf mich zukommen würde. Die bis dahin erlebte gute Zusammenarbeit mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus den Unterverbänden und Sektionen sowie auch innerhalb der Sekretariate des SEV haben meinen Entschluss bestärkt. Ich weiss, dass ich mich jederzeit auf meine Kolleginnen und Kollegen im SEV verlassen kann. Seit Oktober bin ich nun offiziell im Amt. Wir sind – auch innerhalb der neu konstituierten Geschäftsleitung des SEV – nun gut aufgestellt, um die künftigen Herausforderungen anzugehen. Mir ist aber bewusst, dass es nicht einfach wird, alle Anliegen unserer Mitglieder unter einen Hut zu bringen.
Wie kann das gelingen?
Im SEV haben wir eine grosse Fachkompetenz und das Wissen aus zahlreichen Verhandlungen. Unsere Mitglieder aus allen Berufsgruppen des öffentlichen Verkehrs bringen ihre Realitäten und Fachkenntnisse mit ein. Diese Kombination führt dazu, dass wir intern immer wieder Diskussionen führen müssen. Diese Diskussionen bringen uns aber schlussendlich Lösungen, die sinnvoll sind und von allen Berufsgruppen mitgetragen werden können. Diese Dynamik macht uns stark. Und vor allem glaubwürdig. Diese Glaubwürdigkeit ist für mich einer der zentralen Werte des SEV.
Wo sollte der SEV in den nächsten Jahren den Fokus legen?
Wir müssen sicherstellen, dass wir im SEV weiterhin fachlich kompetent und verhandlungsstark bleiben – für unsere Mitglieder, aber auch gegenüber den Unternehmungen. Mir ist es wichtig, dass unsere Mitglieder konstante Ansprechpersonen im SEV haben, welche die entsprechenden Dossiers gut kennen. Es ist mir ein grosses Anliegen, dass wir als SEV im Interesse unserer Mitglieder qualitativ gute GAV verhandeln und bestehende GAV weiterentwickeln. Denn dies ist der Kern unserer Gewerkschaftsarbeit. Und darin sind wir gut.
Der SEV wird sich zudem stark auf die Themen Sicherheit und Gesundheitsschutz konzentrieren. Die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Verkehr sind immer wieder mit heiklen und teils tragischen Situationen konfrontiert. Das sind oftmals Einzelfälle wie die Bedrohung mit Stich- und Hiebwaffen, aber auch systematische Probleme wie der Transport von Fangruppen, die gesamthaft ein sehr alarmierendes Bild ergeben.
Die Unternehmungen müssen – wo nötig zusammen mit Polizeikorps – sicherstellen, dass die Sicherheit für das Personal im öffentlichen Verkehr gewährleistet ist. Der Gesundheitsschutz ist eng mit der Sicherheit des Personals verbunden, hängt aber auch mit dem Unterbestand und Personalengpässen zusammen. Viele Kolleginnen und Kollegen sind zudem mit einer zu langen Schichtdauer konfrontiert; Dienstschichten dauern teils bis 12 Stunden. Mittelfristig kann das zu Gesundheitsproblem führen.
Sprechen wir über das SBB-Dossier. Wie erlebst du aktuell die Sozialpartnerschaft?
Mit SBB und SBB Cargo verhandeln wir grundsätzlich sehr hart, aber fair. Wir können uns danach noch immer in die Augen schauen, das ist mir wichtig. Beide Seiten vertreten unterschiedliche Positionen und suchen teils sehr unterschiedliche Lösungsansätze für anstehende Probleme. Trotzdem pflegen wir einen lösungsorientierten Austausch. Mittelfristig stehen im SBB-Konzern personelle Wechsel in Kernpositionen an. Ich bin gespannt, welche Auswirkungen diese auf die Zusammenarbeit innerhalb der Sozialpartnerschaft haben werden. Mir liegt viel daran, dass die künftigen Verantwortlichen die Stimmen der Mitarbeitenden hören und ernst nehmen und wir weiterhin eine gesunde, konstruktive Sozialpartnerschaft leben können.
Wie geht es den SBB-Mitarbeitenden heute?
Im öffentlichen Verkehr besteht ein verbreitetes Problem: der Personalmangel. Davon sind auch die SBB und SBB Cargo betroffen. In einigen Berufsgruppen sind sicher Schichtarbeit und (zu) tiefe Löhne mit dafür verantwortlich, dass ein Unterbestand herrscht. So beispielsweise bei den Rangiererinnen und Rangierern, insbesondere im Rangierbahnhof Limmattal (RBL). In anderen Bereichen spürt die SBB den Fachkräftemangel und hat Mühe, geeignete Spezialistinnen und Spezialisten zu finden.
Wird ein Unterbestand nicht frühzeitig angegangen und behoben, kann das zu einem Domino-Effekt führen: Das bestehende Personal muss mehr Arbeit leisten und leidet unter dieser Mehrbelastung. Es kommt vermehrt zu krankheitsbedingten Ausfällen, was zu einem noch grösseren Unterbestand beim Personal führt. Um diesen Effekt zu vermeiden, wäre eine vorausschauende Personalplanung nötig. In gewissen Bereichen der SBB fehlt diese aus meiner Sicht.
Was kann der SEV konkret tun?
Der SEV macht immer wieder auf Unterbestände aufmerksam. Diesen Unterbeständen sollte aus unserer Sicht durch konkurrenzfähige Löhne und höhere Zulagen in der Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit entgegengewirkt werden. Die Unternehmen müssen daran arbeiten, die Berufsbilder grundsätzlich attraktiver zu gestalten. (Siehe dazu auch den Artikel auf Seite 5 in dieser Zeitung.) Der SEV setzt sich in den regelmässigen Sozialpartner-Austauschen mit den Unternehmen und insbesondere bei GAV-Verhandlungen dafür ein.
Stichwort GAV: Der GAV SBB / SBB Cargo läuft im April 2025 aus. Wie geht es weiter?
Die Delegierten haben sich an der letzten GAV-Konferenz dafür ausgesprochen, die Laufzeit des GAV SBB / SBB Cargo zu verlängern und den GAV zu verbessern. Ein guter Entschluss aus meiner Sicht. Denn so können wir Sicherheit und Stabilität bei den Anstellungsbedingungen gewährleisten. Gleichzeitig müssen wir aber auch die anstehenden Herausforderungen angehen und den GAV für die Zukunft rüsten. Ich gehe davon aus, dass auch die SBB ein Interesse daran hat, mit einer Verlängerung ihren Mitarbeitenden Sicherheit und Stabilität zu garantieren. Eine Verlängerung die nicht an Bedingungen gekoppelt ist. Wir werden also bald Verhandlungen mit der SBB aufnehmen.
Im Zusammenhang mit GAV-Verhandlungen ist es je nach Verlauf durchaus möglich, dass es nötig sein wird, gemeinsam mit unseren Mitgliedern Schulter an Schulter für die Durchsetzung der Forderungen einzustehen.
Chantal Fischer