ITF-Vorsitzender David Gobé: «Privatisierungen global stoppen!»
David Gobé ist der Vorsitzende der Eisenbahn-Sektion der ITF, der Internationalen Transportarbeiter:innen-Föderation. Gleichzeitig arbeitet er für die französische Gewerkschaft CGT. Am 1. Juni besuchte er das Zentralsekretariat des SEV in Bern. Eine gute Gelegenheit, mit ihm über internationale Gewerkschaftsarbeit zu sprechen.
Welche Themen beschäftigen den ITF im Moment?
Es gibt sehr viele Themen, die im Moment alle Bahngewerkschaften auf der Welt gleichermassen betreffen. Wir konzentrieren uns im Moment auf die vier Themen Sicherheit, Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Service public. Die Sicherheit ist seit vielen Jahren ein Thema. Wir kämpfen dafür, dass die Arbeitsplätze und die Bahn auf der ganzen Welt sicher sind. Bei der nachhaltigen Entwicklung ist für uns klar, die Bahn sorgt dafür, dass die Dekarbonisierung des Verkehrs vorangetrieben werden kann. Im Kampf gegen den Klimawandel sind wir ein wichtiger Teil. Bei der sozialen Gerechtigkeit gibt es noch sehr viel zu tun. Früher bedeutete technologischer Fortschritt auch sozialer Fortschritt. Heute ist das anders. Auch im Eisenbahnsektor findet zum Teil eine «Uberisierung» statt. Die Digitalisierung führt dazu, dass Arbeitnehmende vermehrt ausgebeutet werden und unter prekären Arbeitsbedingungen arbeiten müssen. Es kann nicht sein, dass wir plötzlich wieder Arbeitsbedingungen wie im 19. Jahrhundert haben. Wir müssen Sozialdumping konsequent bekämpfen. Und beim Service public geht es darum, dass wir dafür kämpfen, dass die Bahn nicht weiter privatisiert wird. Weltweit ist die überwiegende Mehrheit der Eisenbahnen in staatlicher Hand. Unsere Unternehmen müssen integriert, in Staatsbesitz und demokratisch kontrolliert sein.
Letzteres ist ein Problem, das uns in der Schweiz sehr stark beschäftigt. Die EU möchte möglichst viel privatisieren. Zuletzt hat sie in Frankreich die Zerschlagung des staatlichen Gütervekehrsunternehmen SNCF Fret angeordnet. Eine Fehlentwicklung?
Ja, das ist eine sehr schlechte Entwicklung. Wenn wir die Situation global anschauen, ist Europa sehr fortschrittlich. Die Bahnen gehören in den meisten Ländern der öffentlichen Hand. In Ländern, wo die Bahn komplett privatisiert wurde, herrschen katastrophale Zustände. Nehmen wir das Beispiel Kenia. Dort hat China eine Bahninfrastruktur mit Güterzügen aufgebaut, um wertvolle Rohstoffe, die für die Herstellung der Akkus von Smartphones benötigt werden, leichter zu transportieren. Doch von dieser Infrastruktur profitiert die kenianische Bevölkerung kaum. So hat China nicht nur die Infrastruktur hingestellt, sondern auch das Personal. Das heisst, in der Bahn arbeiten hauptsächlich Chinesen. Oder in Mali wurde ein funktionierendes Bahnsystem durch die Privatisierung komplett zerstört, was zu grossem Elend bei der betroffenen Bevölkerung geführt hat. Schaut man hingegen in die Länder, wo die Bahn in öffentlicher Hand ist, funktioniert sie viel besser. Trotzdem herrscht vielerorts das neoliberale Dogma vor. In Pakistan, wo Unwetter 30 % der Bahninfrastruktur zerstört haben, fordert die Weltbank eine Privatisierung, bevor sie den Wiederaufbau finanziert. Dagegen müssen wir kämpfen.
Die Globalen Probleme sind offensichtlich gross. Trotzdem arbeiten wir Gewerkschaften heute meist national. Muss sich da was ändern?
Wir müssen dringend international zusammenarbeiten. Gerade wenn wir den Güterverkehr anschauen, sehen wir, die Bahn entwickelt sich nicht nur grenzüberschreitend, sondern auch transkontinental. Heute befördern wir Güter von Portugal bis nach Sibirien im äussersten Osten Russlands oder nach China. Die Arbeitgeber sprechen häufig von Logistik und vergessen dabei die Menschen, die bei der Bahn arbeiten. Ich spreche viel lieber von Lieferketten und beziehe mich auf die Menschen, die darin involviert sind. Menschen, die daran beteiligt sind. Es liegt in der Verantwortung von uns Gewerkschaften, auf internationaler Ebene zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass die Arbeitsbedingungen der Menschen, die an diesen Lieferketten beteiligt sind, überall gut sind, auch bei den Subunternehmen. Aber nicht nur die Lieferketten sind global, sondern auch die Unternehmen sind zunehmend global aufgestellt. Grosse Unternehmen, wie die SNCF in Frankreich oder die DB in Deutschland, beteiligen sich an Bahnunternehmen weltweit. Das sind mittlerweile multinationale Konzerne. Auch da müssen wir genau hinschauen. Ich bin froh, dass der SEV auch international eingebunden ist und sich insbesondere in der europäischen ETF sehr engagiert.
Michael Spahr
Internationale Zusammenarbeit und Solidarität
Am 1. Juni haben sich Matthias Hartwich und Christina Jäggi vom SEV mit Rob Johnston, stv. Generalsekretär und Vertreter der ITF in Genf, und David Gobé von der Schwestergewerkschaft Fédération CGT des cheminots und Präsident der ITF-Sektion Eisenbahn getroffen. Sie haben die Gelegenheit genutzt, um über die Möglichkeiten einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen dem SEV und der ITF zu sprechen und sich über internationale Angelegenheiten auszutauschen. Sicherheit im Transportbereich, nachhaltiger Verkehr, gesunde und gerechte Arbeitsbedingungen oder Vertragspolitik sind Themen, von denen alle 740 weltweit in der ITF organisierten Gewerkschaften betroffen sind. Die internationale Solidarität ist deshalb ein wichtiger Bestandteil der gewerkschaftlichen Zusammenarbeit.