Neue Verkehrspolitik in Deutschland
Der Deutschen Bahn droht die Aufspaltung
Mitten in die laufenden Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP hinein hat die deutsche Schwestergewerkschaft des SEV, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG, mit einer Grosskundgebung eines klargemacht: Eine Aufspaltung der Deutschen Bahn in Netz und Betrieb wird sie nicht akzeptieren.
Eigentlich rückt die deutsche Politik mit der geplanten Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und Freien Demokraten nach links. Erst recht in der Verkehrspolitik: Das Verkehrsministerium war seit vielen Jahren immer fest in den Händen der äusserst autofreundlichen CSU. In einem Punkt aber ist es anders, nämlich bei der Deutschen Bahn. Sowohl die Grünen als auch die Freien Demokraten drängen darauf, dass im Koalitionsvertrag die Aufspaltung von Infrastruktur und Betrieb vorgesehen wird.
Die Deutsche Bahn, obwohl in sehr viele Einzelgesellschaften unterteilt, funktioniert nach wie vor nach dem Prinzip der «integrierten Bahn», in der Netz und Betrieb aus einer Hand geführt werden. Ein gemeinsamer Konzern betreibt also von den Schienen über die Bahnhöfe und die Dienstleistungen bis zu den Zügen. So ist es auch in der Schweiz für die SBB und die Privatbahnen, wogegen die Europäische Union grundsätzlich getrennte Betreiber anstrebt.
Fünf vor zwölf
Die EVG hat kurzfristig zu einer Protestkundgebung gegen die Aufspaltung aufgerufen. Die Demonstration begann – sehr symbolisch um fünf vor 12 – vor der Parteizentrale der Grünen, zog dann kurz durch die Hauptstadt und endete vor der Zentrale der Freien Demokraten.
Hauptredner Martin Burkert, stellvertretender Vorsitzender der EVG und langjähriger früherer Bundestagsabgeordneter der SPD, bezeichnete vor der Parteizentrale der Grünen deren Haltung als klaren Widerspruch zu ihrer Linie in der Klimapolitik: «Ihr seid auf dem Holzweg; dafür hat euch niemand gewählt.» Die Aufspaltung der Bahn führe zur Verschlechterung der Anstellungsbedingungen und zu Stellenabbau. Burkert warnte davor, dass Dienstleistungen wie Reinigung oder Sicherheit in einer aufgespaltenen DB als erste privatisiert und damit verschlechtert würden. «Wir sind alle Kolleginnen und Kollegen; nur in einem integrierten Konzern arbeiten wir zusammen und ziehen an einem Strick.»
«Wir sind keine Schachfiguren»
Heike Moll, Vorsitzende des Betriebsrats von DB Station & Service, sprach sehr emotional aus persönlicher Betroffenheit: «Es geht hier um Menschen und nicht um Schachfiguren!» Sie erinnerte die gut tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer daran, wie gerade die Pandemie gezeigt habe, dass es eben durchaus einen Unterschied zwischen der integrierten Deutschen Bahn und den privaten Anbietern gebe: Während diese ihr Personal in Kurzarbeit geschickt hätten, habe die DB mit allen Bereichen gemeinsam dafür gesorgt, dass öffentlicher Verkehr weiterhin funktionierte.
Während viele der Rednerinnen und Redner von den Freien Demokraten nichts anderes erwartet haben, wurde gegenüber den Grünen grosses Unverständnis geäussert. Wer den Klimawandel bremsen wolle, müsse auch eine intakte Bahn wollen. Statt die DB zu zerschlagen, erwarten sowohl Gewerkschaft als auch Umweltorganisationen von der neuen Bundesregierung eine aktive Bahnpolitik. Es müssten einfachere Verfahren geschaffen werden, um die DB zu entwickeln, Fahr- und Trassenpreise zu senken und die Bahn gegenüber der Strasse attraktiver zu machen. Auch in dieser Frage spielt einmal mehr der Konflikt zwischen den beiden Bahngewerkschaften hinein: Die Gewerkschaft der Lokomotivführer GDL hat sich tatsächlich der Forderung nach einer Aufspaltung der DB angeschlossen.
Martin Burkert erinnerte jedoch an gescheiterte Experimente in verschiedenen Ländern, vor allem England und Frankreich. «Wo die Bahn wirklich erfolgreich ist, von der Schweiz bis Japan, funktioniert sie als integriertes Unternehmen», hielt er fest. Unter Applaus und viel Lärm der Menge stellte er klar: «Wir werden das nicht zulassen; die Aufspaltung ist für die EVG nicht verhandelbar!»
Peter Moor
Kommentare
Max Krieg 26/11/2021 13:24:07
Die europäischen Eisenbahnen verdienen ein Rückbesinnen auf die vergangenen Funktions- und Zusammenarbeitsformen.
Die Republik hat in dieser Woche eine gebastelte Analyse der heutigen Funktionsschwierigkeiten in der Zusammenarbeit unter den Eisenbahnunternehmen veröffentlicht.
Hier folgt der Kommentar, den ich in der Facebook-Seite der Republik hinterlassen habe:
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Ganz so einfach kommt die EU mit ihren Lamentelen nicht weg. Die meisten Probleme hat sie mit der Liberalisierung des Eisenbahnverkehrs ab 1991 auf Drängen der Frau Thatcher und des Herrn Neill Kinnock selbst verursacht.
Hätte sie damals den Eisenbahn-Service public nicht so verteufelt, sondern auf die Stärkung der bestehenden Zusammenarbeiten und gezielten Verbesserungsschritte gesetzt, wäre es nie zu diesem Schlammassel - sowohl in der technischen wie in der kommerziellen Interoperabilität - gekommen.
Nein, es hiess: Das bestehende europäische Bahnsystem ist des Teufels, alles muss umgekrempelt werden. Wettbewerb musste auf Biegen und Brechen her.
Die sich brüstende ERA sollte sich im Auftrag der EU der Behebung des angerichteten Schadens annehmen, aber ja mit Neuem, anstatt auf die sich wenn auch nur teilweise bewährten Zusammenarbeitsregeln und -standards der UIC, des CIT und teils der CER zu stützen und zu helfen, sie zu verbessern.
Es braucht mindestens zwei Schritte zurück ein die Zukunft und die Abkehr vom Wettbewerbsgedanken auf der Schiene.
Und übrigens: Die Reisezeiten für die Reisenden (vergesst endlich die Passagiere, Fahrgäste, Passengers) gehen so schön von Flughafen zu Flughafen aus. ohne je die Anfahrtszeiten zum Flughafen oder die Zeit vom Flughafen in die Innenstädte zu berücksichtigen. Ich will nicht sagen, dass es ein Schwindel ist, aber ganz ehrlich ist der Vergleich nicht, denn die Eisenbahn fährt von Stadtzentrum zu Stadtzentrum (zumindest in der Regel, wenn nicht neue Bahnhöfe im Grünen um die Städte gebaut werden).
Die EU könnte zur Verbesserung der Situation beitragen, sofern sie sich zuerst an der eigenen Nase nimmt und Fehlentwicklungen rückgängig macht.
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Die DB und alle europäischen Bahnen verdienen den Einsatz des SEV, damit ein (wieder besser) funktionierendes europäisches Eisenbahnsystem erhalten oder wieder hergestellt wird.