100 Jahre Unterverband der Pensionierten
«Wir müssen uns dem Wandel stellen»
Nicht nur der SEV als Dachorganisation feiert 100 Jahre, auch der PV, der Unterverband der Pensionierten, ist hundertjährig. Auch dieser steht vor neuen Herausforderungen. Der frühere SEV-Kommunikationschef Peter Moor traf PV-Zentralpräsident Roland Schwager zum Gespräch unter Rentnern.
Peter Moor: Roland Schwager, herzlichen Dank für den Schoggitaler, den ich vom PV zum 100-Jahr-Jubiläum erhalten habe!
Roland Schwager: Gerne geschehen!
Was ist die Absicht hinter dieser freundlichen Geste an die Mitglieder des PV?
Wir konnten natürlich nicht alle 13'000 Mitglieder in eine Halle zu einem Fest einladen. Aber Kassier Egon Minikus fand, alle Mitglieder sollten in irgendeiner Form am Jubiläum teilhaben. Er verfasste die kleine Broschüre und regte auch den Schoggitaler an. Ich habe seither sehr viele positive Echos erhalten. Ich bin froh, haben wir diese Idee realisiert.
Wie ist es vor 100 Jahren eigentlich zur Gründung des PV gekommen?
Wenn ich das wüsste; ich war ja nicht dabei! Es ist faszinierend, dass zum gleichen Zeitpunkt, als die verschiedenen Berufsgruppen entschieden, in einen Einheitsverband zu gehen, auch die Pensionierten schon den Zusammenschluss wählten.
Rentner im heutigen Sinn gab es damals ja noch gar nicht; die AHV kam erst 1948.
Es gab zum Teil schon Pensionskassen, die Bahnen waren damit recht früh. Aber diese Rente reichte nicht, um ein Leben in Würde weiterzuführen. Es gab wirklich Armut unter den Pensionierten. Deshalb schlossen sich die Pensionierten zusammen, um sich für eine bessere materielle Zukunft zu wehren.
Der PV ist aus meiner Sicht ein recht spezielles Konstrukt: Anders als bei den KTU, wo die Pensionierten mit den Aktiven zusammen in ihrer Sektion bleiben, kommen die SBB-Pensionierten in dieses Sammelbecken, nachdem sie zuvor als Aktive nach Berufsgruppen organisiert waren. Was ist die Idee dahinter?
Wie man zuvor in der Berufsgruppe mit gemeinsamen Anliegen zusammen war, blieb man bei den Pensionierten unter sich. Lange Zeit war der PV nur assoziiert beim SEV. Erst 1973 wurde er Vollmitglied. Der Unterschied zu den KTU ist, dass wir dort klassische Betriebsfamilien haben: Man kennt sich und gehört dazu. Wenn nun der SEV einen Schritt weitergeht und einmal seine Strukturen überdenkt – sie sind ja auch in die Jahre gekommen - müssen wir schauen, was wird. Persönlich glaube ich aber, dass die Pensionierten unter sich bleiben.
Du warst früher Zentralpräsident eines Aktiven-Unterverbands, des damaligen VPV, nun bist du Zentralpräsident des PV. Wo siehst du die wesentlichen Unterschiede?
Als Aktive waren wir zum Beispiel bei GAV-Verhandlungen dabei. Da hatten wir auf der andern Seite einen echten Sozialpartner. Als Zentralpräsident PV habe ich auf der andern Seite zwar manchmal auch die SBB, aber wir haben keine Partnerschaft, und deswegen treten wir bloss als Bittsteller auf. Das ist eine schlechte und undankbare Rolle.
Was man gemeinsam lösen muss, ist der Übergang: Viele Mitglieder gehen dem SEV mit der Pensionierung verloren. Was läuft falsch?
Ja, das wird zunehmend schwierig. Das Problem: Wir haben nicht mehr drei Lebensabschnitte, sondern vier. Jugend, Erwerbsleben und zwei Alter, ein jüngeres und ein älteres, was auch mit der körperlichen und geistigen Entwicklung zusammenhängt. Bei den jungen Alten hat es viele, die finden, sie brauchen die Gewerkschaft im Ruhestand nicht mehr. Das entspricht der heutigen Haltung, die Gewerkschaft als Versicherung zu sehen. Bei den 60- bis 70-Jährigen erfolgen jährlich rund 250 Austritte. Da müssen wir ansetzen. Und das andere, das du ansprichst: Viele finden, sie gehören gar noch nicht dorthin, weil sie sich den PV als Gruppe von Steinalten mit dem Rollator vorstellen. Und schliesslich gibt es eine Entwicklung, dass Leute nicht mehr bis zur Pensionierung bei der Bahn bleiben, weil die Aufgaben so schwierig sind, dass man sie nicht mehr bis 65 machen kann. Diesen Veränderungen müssen wir uns stellen.
Ich habe gerade gestern mit einem Kollegen gesprochen, der in wenigen Tagen pensioniert wird. Er wusste nicht, was mit ihm als SEV-Mitglied passiert.
Administrativ gesehen: Wer in den Ruhestand tritt, muss selbst nichts unternehmen. Der SEV erstellt eine Liste jener Leute, die als Austritt aus der SBB vorgesehen und im passenden Alter sind, 63 und älter. Diese werden dann von der PV-Sektion angeschrieben und erhalten die Pensionierungs-Broschüre. Auf den Zeitpunkt, wo jemand zu arbeiten aufhört, wird er mutiert. Wenn dein Kollege also beispielsweise in Dulliken wohnt, wird er in die PV-Sektion Olten mutiert, und wenn er nun sagt, er habe seine Kollegen in Zürich, etwa weil er im Westlink gearbeitet hat, kann er zu einer andern Sektion mutiert werden, wie es im SEV immer möglich ist.
Nun kommen die grössten Jahrgänge, die es überhaupt je gegeben hat, ins Rentenalter. Das ist eine grosse Chance für den PV.
Ich sehe es als Herausforderung! Und zwar weil gerade aus diesen Jahrgängen viele den SEV als Versicherung betrachtet haben. Dass wir uns diese Mitglieder erhalten können, ist wichtig, notabene nicht nur für den PV: Ohne die Mitgliederbeiträge der Pensionierten hat der SEV ein grosses Problem!
Bei der Gewichtung zwischen geselligen Anlässen, die im PV ja eine grosse Rolle spielen, und politischen Aktivitäten: Gibt es da Verschiebungen? Habt ihr Pläne, etwas zu ändern?
Wir haben uns im letzten Herbst Gedanken zur Zukunft gemacht. Der Zentralausschuss hat Massnahmen erarbeitet, die wir mit den Mitgliedern des Zentralvorstands nochmals diskutieren werden. Vor allem beim Sektionsleben spielt die gesellschaftliche Komponente eine grosse Rolle. Unsere Sektionen gehen dabei unterschiedlich vor. Etwas haben wir klar festgelegt: Wir wollen keinen zweigeteilten PV, aufgeteilt in jüngere und ältere Mitglieder. Aber man kann mit einem einzigen Angebot keine Altersgruppe ansprechen, die von 65 bis 95 geht. Wir haben 2000 Mitglieder, die über 90 sind! Die haben andere Bedürfnisse als jene, die frisch im Ruhestand sind. Damit diese jüngeren Leute nicht meinen, sie gehörten bei uns gar nicht dazu, braucht es sicher eine Veränderung.
Peter Moor
Zur Person
Roland Schwager, Jahrgang 1952
Beruflicher Werdegang: Verkehrsschule, Betriebsdisponent SBB, Arbeit auf verschiedenen Bahnhöfen, 1987 Wechsel in die Verwaltung, zuletzt Systembetreuer der automatischen Fahrgastzählung in der ganzen Schweiz
Gewerkschaftlicher Werdegang: Eintritt 1971, klassische Laufbahn über Sektionsvorstand, Zentralvorstand bis Zentralpräsident VPV, anschliessend Zentralpräsident PV
Freizeit neben dem SEV: No Sports! Lesen, reisen, vor allem Flussfahrten, Entschleunigung